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Die Welt braucht mehr PVC

Ja, ich weiß, das ist provokant, doch es geht hier nicht um die Verschmutzung der Weltmeere. Schließlich wirft diese Form von Plastik niemand auf den Müll. Meistens jedenfalls, denn das Vinyl, aus dem Schallplatten hergestellt werden, ist ja nichts anderes als Kunststoff. Während die ganzen Getränkeverpackungen im Mist landen, zahlen Sammler für das tönende PVC jede Menge Geld.

Das sagen zumindest die Verkaufszahlen. Diese sind beeindruckend genug. Ich habe mich ein wenig damit befasst, denn zuletzt hat mich ein Crowdfunding auf Startnext dem Thema wieder näher gebracht. Dort habe ich alte Bekannte wiedergefunden und ein wenig Geld investiert.

Alles kommt wieder

Die neue Schallplatte von Punk Kabarett Heiter bis Wolkig wird also umgesetzt. 169 Unterstützer, darunter auch ich selbst, haben immerhin 8.024 Euro zusammengekratzt, damit der Tonträger mit 20 Widerstandsliedern aufgenommen und gepresst werden kann.

Als baldiger Schallplattenbesitzer und neuerlicher Eigentümer meines alten Reloop Spielers habe ich mich mal umgesehen, wie Schallplatten aus Vinyl denn aktuell so performen. Da bin ich ja offenbar mitten in einen Boom hineingeplatzt. Hier ist Plastik tatsächlich noch en vogue.

Während der Rest der Welt versucht, den Kunststoff zu vermeiden, laufen die Schallplattenpressen seit Jahren auf Hochtouren. Im Jahr 1970 gingen noch 20 Millionen Amerikaner auf die Straße, um zum Tag der Erde, der inzwischen durch Millionen von Menschen und zahlreiche Firmen unterstützt wird, gegen eine Umweltreform zu protestieren, kommt die Produktion von neuen Plastikscheiben heute kaum mehr nach. Haben wir Plastikflaschen durch umweltfreundliche Stoffe ersetzt, nur damit sie nun als Schallplatten im Müll landen?

Dieser Kunststoff ist hip

Ich sage Nein, denn das „Schwarz Gold“, wie es die Sammler gerne bezeichnen, befindet sich in einem ewigen Kreislauf. Hier wird nichts weggeworfen, sondern fleißig gesammelt. Schallplatten sind scheinbar wieder richtig hip. Wer hätte das gedacht?

Die Marktforscher sind sich jedenfalls sicher. Da rollt eine kleine Lawine heran. Schon im letzten Jahr haben die Firmen mit dem Verkauf von Schallplatten in den USA mehr Geld verdient als mit dem Verkauf von CDs. Jetzt könnte man natürlich sagen, das ist keine große Kunst. Wer kauft denn noch CDs?

Doch offenbar geht es auch den Downloads an den Kragen. Das Geld aus deren Verkäufen wird auch immer weniger. Alles läuft nur noch in Richtung Streaming. Wer Musik kauft, setzt auf PVC, Pardon Vinyl. Dort freuen sich die Anbieter über gewaltige Steigerungsraten. Das läuft jetzt schon seit einigen Jahren so.

2021 geht es offenbar munter weiter. Wieder ein Viertel mehr Umsatz bedeutet, dass die Firmen noch stärker auf den Trend aufspringen werden. Das verheißt nichts Gutes. Schließlich geht es auch darum, eine kaufkräftige Klientel zu melken. Ich habe mir ein paar Neuveröffentlichungen alter Klassiker angesehen und gestaunt. Da rufen die Plattenfirmen Preise auf, die mich sprachlos machen.

Dabei stecken sie einfach ein bekanntes Werk in eine große Box und packen ein paar unbekannte Studioaufnahmen dazu. Obendrauf gibt es noch ein kleines Büchlein und schon legst du 150 Euro auf den Tisch. Ob sich die Käufer das lange bieten lassen werden, wage ich zu bezweifeln. Aber wer weiß, die Welt ist schließlich verrückt genug.

Die Sehnsucht nach dem Echten

Vor einigen Jahren hat mal ein Autor ein Buch geschrieben, darin ging es um die Sehnsucht nach dem Analogen. Offenbar sind wir nicht davor gefeit, das Gute in unserer Vergangenheit zu suchen. Dass jetzt plötzlich alle Musikliebhaber anfangen, Schallplatten zu sammeln, hat sicherlich auch damit etwas zu tun. In einer Zeit, in der viele von uns durch ihr Leben hetzen, suchen sie die Wärme und Haptik von vertrauten Dingen, die ihnen früher Freude bereitet haben.

Das ist wahrscheinlich auch ein Grund dafür, warum sich E-Books gegenüber den gedruckten Büchern noch nicht komplett durchsetzen konnten. Retro gibt uns scheinbar so etwas wie Vertrautheit und Geborgenheit. Ich finde das ist mal ein schöner Trend, der könnte uns ruhig erhalten bleiben.

Immerhin lernen wir so, die Langsamkeit wieder zu schätzen. Ein Musikfreak hat mal geschrieben: Streaming ist Fastfood, Schallplatten hören etwas für Gourmets. Da kann ich nicht viel dagegen sagen. Lang lebe der Hype!